weggespült, in der Hoffnung, das damit auch der Geruch verschwinden würde. Ob ich Erfolg gehabt habe, kann ich nicht so richtig sagen. Zunächst bin ich mir auf einmal gar nicht sicher, ob das Wasser aus dem Graben die wesentlich gesündere Alternative zu Mäusepisse ist. Zudem sitze ich nun schon wieder zu lang im Wagen, als dass ich sagen könnte, wonach es genau riecht. Es ist auch müßig, zu versuchen, im Bauwagen Ordnung und Sauberkeit zu schaffen. Ich machte den Versuch, habe Dinge hin und her geräumt und Teppiche ausgeklopft, gefegt und gesaugt – wobei der Staubsauger sich als Krüppel entpuppte. Ich habe mich eingerichtet, das habe ich wohl. Ich kann mich stolz der erste Pionier in Kunitz in diesem Jahr nennen, doch sauber ist es mittlerweile nicht mehr. Der Regen – zwischendurch hagelte es sogar – hat den Boden matschig gemacht und dieser Matsch klebt bekanntlich gern an Fußsohlen und da ich nicht hier rein geflogen bin, sondern, wie es mein zunehmend bäuerlicher Habitus erforderte, stapfte, trocknet dieser Matsch nun auf dem Boden zu mittelgroßen Klumpen. Mir macht es nichts mehr aus…

Zwei Geländevermesser kamen vorhin in einem blauen Kleinbus und haben die ersten Arbeiten zur Vermessung des Hofes angestellt. Ich habe gesagt, ich wäre zu Besuch. Fast hätte ich Urlaub gesagt. Das wäre so falsch nicht gewesen. Auf jeden Fall konnte ich so nicht auf das Klo, habe mir noch eine Suppe gemacht und ein wenig Kundera gelesen, habe mich wetterfest eingepackt und bin mit einer Plastiktüte voller Fotoapparate zur Oder gestapft. Ich hatte mir eines der Gummistiefelpaare übergezogen, die hier überall im Wagen herumstehen und kam mir nun unverwüstlich vor. Ich nötigte Schafen, Schweinen und Ziegen noch ein Lächeln ab und stapfte, ja ja das Stapfen, davon…

Ich muss versuchen, ein Portrait dieser Landschaft zu malen. Da ich aber kein allzu begabter Maler bin, muss ich es schreibend versuchen. Wo fange ich an? Vielleicht setze ich an den Anfang ein schwer wiegendes Wort: Endlosigkeit. Das trifft es natürlich nur im Kontrast. In der Stadt stehen, wo man auch hinsieht, Häuser, bebaute Flächen versperren die Sicht auf den Horizont. In der Ziltendorfer Niederung, so nennt man diese Gegend, sucht man die Häuser am Horizont - eine invertiere Landschaft. Und flach, es gibt keine Erhebung außer dem Hochwasserdamm an der Oder. Der Blick ist ein endloser und das in alle Richtungen. Auf den Feldern stehen die grünen Stoppeln eines Düngegewächses. Es wird im Frühjahr umgegraben und dient der Fruchtbarkeit des Bodens. Da sind die Bewässerungsgräben und die Straßen und Wege, die die Felder und Wiesen kreuzen, an den Straßen sehen die Leitblanken und Verkehrsschilder aus wie eine verzweifelte zivilisatorische Bemühung. Bäume stehen vereinzelt und ein paar Höfe. Sonst ist da nichts. Es ist ein Wolkengebiet. Ganze Wolkengebirge ziehen über die grüne Fläche, verändern sich stetig, lassen Regen, Hagel und Schnee auf die Erde fallen und werden vom Wind die Oder hinunter getragen. Geht man so wie ich diese Wege entlang, so gewinnt diese Landschaft eine ganz besondere Perspektive. Die Wege verlaufen größtenteils geradlinig und parallel zu den Gräben, verlieren sich am Horizont oder enden in Kreuzungen, wo eine Strasse ebenso gerade senkrecht abgeht. Ich bin diese Wege zur Oder gelaufen. Es regnete anfangs. Die Tropfen fielen von schräg links auf mich ein, dann hörte es auf zu regnen und die Sonne brach aus den Wolken und überflutete die Ebene.

Da ist dann das nächste schwere Wort, das mir in den Sinn kommt: Erhabenheit. Erhaben ist die Landschaft gegenüber demjenigen, der auf ihr wandert, denn er kann ihr nichts antun, kann sie nicht fassen, kann die Veränderung des Wetters nicht begreifen, kann sich nur beregnen lassen, die Veränderung des Lichts, das Aufbrechen der Wolkendecke nur beobachten und nicht beeinflussen. Es ist diesem Wanderer in dieser Gegend, der heute ich war, nur gegeben, sich als Teil dieses ganzen Prozesses, dieses Bildes zu empfinden, als einen Punkt am Horizont, dem man nicht wahrnehmen kann, wenn man nicht bewusst nach ihm Ausschau hält. Die Gehöfte lagen still im aufkommenden Sonnenschein, die Hunde hatten sich in die Schatten verkrochen, nur ein kleiner Köter kreuzte meinen Weg, hob einmal die Schnauze nach mir und trottete weiter. Auf dem Damm begegnete ich nur einem Fahrradfahrer. Ein Weg führt am Damm endlang, wiederum immer geradeaus. Ich bestieg den Damm und erblickte die Oder. Am Ufer flogen Enten auf, als ich mich näherte. An der anderen Seite stehen Häuser. Auch dort kein Mensch. Sicher arbeiten die Bewohner alle in der nächstgelegenen größeren Stadt und sind nur abends zu Haus. Die Wiesen hinter dem Damm sind nass. Überall steht Wasser um die Bäume, kleine Lagerfeuerstellen zeugen von Nachtanglern, Autospuren von den Grenzwachen des BGS, Schafe bedeckten die Erde mit ihren murmeligen Hinterlassenschaften. Ich bin einen großen Bogen zum nächsten Feldweg gelaufen, immer an der größten Straße parallel zur Oder entlang und nur ein Traktor begegnete mir in der langen Zeit, die ich da wanderte. Die Straße war eine blendende Oberfläche, weiter hinten sah ich den Gichtgasspeicher des Stahlwerks. Ich bog schließlich in den Feldweg ein, der mich wieder zum Hof führte. Die Gänse, die gestern wieder zurückgekommen waren, standen zu hunderten auf der großen Koppel, auf der im Sommer die Kühe stehen. Sie hatten ein eigenartiges Verhalten: Alle standen sie diszipliniert in eine Richtung – gegen den Wind gerichtet -  bewegten sich nicht, die Köpfe an den langen schwarzen Hälsen alle nach Norden. Dann flogen vielleicht fünf Gänse auf, dann eine ganze Schar gleichzeitig, flogen in perfekter Choreographie dicht über dem Boden, während die anderen noch am Boden nordwärts starrten. Eine Gruppe nach der anderen stieg auf, die Vögel schrieen und landeten wieder in ihrer Ausgangsposition. Auf dem nächstgelegenen Feld flüchteten Rehe vor einer imaginären Bedrohung.

Über die Brücke, die über dem Wassergraben führt, gelangte ich zum Hof zurück. Die Vermesser in ihren aufdringlich neonfarbigen Jacken packten gerade ihre Gerätschaften ein und fuhren grüssend fort. Ich hatte meine Wanderung für heute beendet…

Es ist jetzt wieder finster draußen, ungemütlich auch. Ich habe nun doch etwas den Blues bekommen, versuche mich aber aus den Niederungen meines Gemüts durch die Arbeit an einem Song herauszuhieven. Ob es mir gelungen ist, jetzt wo der Song steht und der Text dazu Schwarz auf Kariert in meinem Textbuch steht – ich bin mir nicht sicher. Ich schiebe es ja zunehmend auf meine Müdigkeit, eine Art Altlast meiner Schlafruine der letzten Nacht. Ich bin wiederholt dem Gedanken anheim gefallen, ich könne mich ja einfach hinlegen und schlafen. Noch aber wehre ich mich gegen diesen schnöden Trieb, habe geheizt und setze mir eine Kanne Ingwer- Zitronentee auf, auf dessen Belebung ich nun hoffe…

Der Tee bewirkte Wunder. Ich habe, während ich trank, die Idee zu einer Geschichte wieder aufgenommen, die mich heute bei meiner Wanderung

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