Grill, zum Klo und zur Bühne. Jetzt ist keine Menschenseele hier. Mich natürlich ausgenommen. Und das soll so sein…

Während ich so auf dem Klo saß und meinen nervösen Darm besänftigte, konnte ich auf die dunklen Scheunen schauen, denn der Sturm „Kyril“ , den die Medien vor zwei Monaten so groß machten, hat die Tür abgerissen. Sie liegt auf dem Boden neben der gezimmerten Toilette, der Eingang steht offen. Es ist wohl einer der besten Ausblicke, den ich auf Klo je hatte. Da es dunkel geworden ist, sehe ich auf die schwarzen Umrisse der Backsteinscheunen, der Obstbäume im Garten und des Eingangs zum Wassergraben hin, sehe noch eine Rauchschwalbe ihren letzten Standflug für heute vollbringen – sie ist schon etwas spät dran – und den von Wolken und Mondlicht zerrissenen Himmel. Ich stapfe über die Wiese, auf der im Sommer die Festivalbesucher liegen und trinken; weiter rechts haben die Raumpioniere einen Volleyballplatz gebaut. Eine durchhängende Schnur ersetzt das Netz. Hier hat schon länger keiner mehr gespielt. Ich steige die rutschigen Holztreppen hoch und betrete die Wärme meines vorübergehenden Heims. Außer mir befindet sich noch eine Stubenfliege im Bauwagen. Sie umfliegt in ihrer nervösen Art die Lampe über dem Küchentisch, an dem ich sitze und tippe. Es ist kalt draußen, nicht eisig, denn das gibt dieser Winter nicht her. In der Scheune liegen die Ziegen. Zwei Muttertiere, ein Junges, das letzte von sieben, die anderen sind gestorben. Die Mutter gibt keine Milch, also muss man die andere Ziege an den Hörnern zur Bereitschaft zwingen, so dass das Zicklein die notwendige Milch saugen kann. Eine andere Ziege muss jeden Tag einmal gemolken werden. Sie ist krank an den Eutern. Morgen werde ich auch den Jäger begrüßen, der hier täglich die Schweine füttern kommt. Das sind so Dinge, die in Berlin sehr fern liegen und die nun um mich zu haben sehr angenehm sich anfühlt. Wie überhaupt die ganze Situation. Kein Internet, keine am Fenster vorbeischotternen LKWs, keine grölenden Menschen. Und eben trotzdem nicht nichts. Noch ist natürlich alles ungewohnt. Die Stille, die Einsamkeit, die Umgebung. Ich bin mal gespannt, was passiert. Und wenn nichts passiert, dann ist das auch etwas. Noch schreibe ich mich hierher, noch bin ich nicht angekommen, doch morgen denk ich, wenn ich zur Oder gelaufen bin, mir das dunkle Wasser im Vorbeiströmen ansehe, dann komme ich an. Ich will mich einmal loslösen von dem Üblichen in meinem Leben. Ich will die Gegenwart ohne Ablenkung. Ich lebe gern in Berlin und in den Städten, in dieser Vibration, wo es aber immer etwas gibt, was mich ablenkt. Die Ablenkung muss weg, um zu dem Wesentlichen zurückzukehren. So denke ich mir das einstweilen. Was dieses Wesentliche ist, kann ich noch nicht sagen. Vielleicht muss es gar nicht gefunden werden. Sicher sogar muss ich erst gar nicht danach suchen. „Hoffentlich bekommst du nicht das arme Tier“, meinte Saskia und sie meinte den Schmerz an der Einsamkeit. Doch ich fühle mich nicht einsam. Ich fühle mich wohl, wenn ich auch nicht weiß wie…

Ich habe den Hut gewechselt. Es ist nun ein grauer Schlapphut, der mir um einiges besser steht, finde ich. Man muss sich halt einrichten. Ich kann jederzeit meine Sachen zusammenraffen und mich in Richtung des nächstgelegenen Bahnhofs absetzen. Noch fahren Züge nach Berlin. Der Mensch braucht ja Möglichkeiten. Doch ich denke, ich bleibe….

Freitag, 2. März

Normalerweise sollte ein leichtes Zuviel an Wein am Abend einen tiefen Schlummer bewirken, doch bei mir kam diese Logik heute Nacht nicht an. Ich lag häufig wach. Mal war mir kalt und ich stopfte mir eine Decke in den Schlafsack, eine andere darüber. Dann musste ich den Wein loswerden und pinkelte mit dem Wind. Ein angestrengter Wind, der die Belüftungsrotoren die Nacht über laut wummern ließ. Alles Geräusche, die mein Schlaf nicht kannte, so dass er sich unbedingt und immer wieder mit meinem Bewusstsein austauschen mochte. Schließlich war es hell und es hatte keinen Zweck mehr zu ignorieren, dass ich unwiderruflich wach war. Ich stand auf, putzte die Zähne, öffnete die Tür und ließ den Tag in den Bauwagen. Als der Tee fertig gebrüht war, kam Daniel und wir versorgten das Vieh. Er hat mir die Gitarre gebracht, wir haben noch eine Weile geredet, dann ist er wieder gefahren. Er ist einer vom festen Kern, wohnt nur ein paar Felder von hier an der Oder in dem einzigen Mietshaus in der Gegend. Eine schäbige Bude, die er mir als klein, kalt, schimmelig und trotzdem noch zu teuer beschrieb. Doch von dort braucht er nicht lang hierher. Er gehört zur Basis der Raumpioniere, wie sich der Verein zum Hof nennt. Denn als das gemeinschaftliche Arbeiten am Hof und am Land immer konkreter wurde und man sich immer mehr auch gegen das Bauamt zur Wehr setzen musste, schien es notwendig geworden, sich auch rechtlich eine Form zu geben, also die Form eines Vereins. Es treten immer mal wieder Leute ein, meistens im Sommer, wenn das Leben hier draußen verführerisch ist und wo mancher beim Hin und Her der Hollywoodschaukel im Garten sich denken mag, dass das hier was für ihn wäre. Es sind nicht wenige gewesen, die dem Verein beigetreten sind, in Vereinssitzungen mit Selbstgebranntem eine Menge Ideen und Tatendrang mitbrachten (manch einer hat sich auch einen Bauwagen mitgebracht) und letztendlich nichts von dem umsetzten, was sie auf endlosen Listen niederschrieben, die jetzt im Bauwagen hängen - weil sie in Wirklichkeit doch woanders leben und die paar Wochen im Sommer nicht ausreichten, um ein sommerliche Illusion über die anderen Jahreszeiten aufrecht zu erhalten. Sie treten wieder aus. Und übrig bleiben zwei, drei Personen, die auch im Winter jeden Tag hier raus fahren, um die Tiere zu versorgen und sich kümmern. In Kunitz im Winter wird man schon auf den Utopiegehalt der Vorstellung verwiesen, hier einmal ganzjährig wohnen zu wollen. Es ist kalt, der Wind bläst unaufhörlich ab Oktober, der Boden weicht durch und wird schlammig, die Wege werden im Grunde genommen unbefahrbar. Jeder Backsteinturm im Hof, jeder Materialhaufen im Schuppen und jede provisorisch abdichtende Plane verweist auf die Tonnen von Arbeit, die es noch braucht, um sich hier auf Dauer einzurichten. Es kostet neben Schweiß und Geduld auch eine ganze Menge Geld und eben jenes war es, was mich bewog, meine anfängliche Euphorie und absolute Beteiligungsbereitschaft zu dämpfen. Ich hatte es schlicht und einfach nicht und ich wohnte – wie noch immer - in Berlin. Die Vision kann ich aber durchaus teilen. Dadurch ist hier draußen erst einmal niemanden geholfen…

Trotzdem genieße ich es, hier zu sein, auf diesem Fleck Erde. Da es den ganzen Vormittag fast unaufhörlich regnete, bin ich das Projekt angegangen, was mir schon gestern im Kopf herum spukte. Ich habe das gesamte Regal mit dem Geschirr und dem Besteck, den Töpfen und Gläsern, den Gewürzen und Butten ausgeräumt, habe mir Wasser vom Graben geholt und die Mäusekacke

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