überlegt, ob ich Mäusefallen aufstellen soll, im Bauwagen. Ich entschied mich aus zwei Gründen dagegen: erstens wäre ich wohl das einzige Opfer dieser Fallen geworden und zweitens täte es mir um die Mäuse, so viel sie im Bauwagen auch geschissen und gepisst und geplündert haben mögen, auch leid. Ich hätte dann diesen toten Mäusekadaver aus der Falle befreien müssen, und dann? Auf den Kompost, oder vielleicht ein Begräbnis? Nein, ich kann mit dem Tod von Tieren nicht umgehen und wahrscheinlich bin ich zu verhätschelt, als das ich das noch mal normal finden würde. Das Fleisch, das ich esse, bekomme ich im Supermarkt in gewünschten Portionen in einer Form, die mich nicht mehr an das Tier erinnert, obwohl es auf der Verpackung draufstehen mag. Das ist blöde, doch es ist so…

Nachdem der Morgen hell, wenn auch nicht sonnig war – ein Aufbruchsmorgen nach dieser unruhigen Nacht war es doch, ein neuer Anfang sozusagen – ist jetzt wieder das Grau die dominante Farbe, der Wind nimmt zu und bald werde ich wieder zum Rhythmus des Regens wippen können. Mir ist es gleich. Ich bin satt  - nach meiner Überlegung über das Töten und Essen von Tieren habe ich mir doppelt Schinken auf das Toastbrot gelegt – der Ofen ist an, der Tee schmeckt gut, ja ja …

Es regnet jetzt beständig. Über Thom Yorke, dessen Poster mir gegenüber an der Wand hängt, fließt ein kleines Rinnsal. Ich werde heute voraussichtlich keinen Spaziergang zur Oder unternehmen können, weil ein Ende des Regens nicht abzusehen ist. Er nimmt einem die Sicht auf den Horizont, so dicht fällt er. Da ist dieser Gedanke, der mich auch des Nachts kurz einmal heimsuchte: Was wäre, wenn die ohnehin wieder angeschwollene Oder gerade eben jetzt wieder, sozusagen zu einem Zehn- Jahres- Jubiläum, über die Dämme tritt, keine drei Kilometer ostwärts von mir. Die Böden sind voll gesogen mit Regenwasser und nehmen die Oderfluten nicht auf. Langsam aber beständig steigt der Pegel. Ohne dass ich etwas hier in meinem Bauwagen davon merke, umspielen schon die ersten Wellen die Räder des Wagens. Die Schafe und Ziegen flüchten in ihren Stallwagen. Das Wasser sammelt sich im Plumpsklo am Feldrand und vermischt sich mit den Fäkalien und steigt und steigt. Wenn ich das nächste Mal aus dem Wagen trete, um frische Luft zu schnappen, oder mir die Beine zu vertreten, ist von der Eingangstreppe nicht mehr viel zu sehen. Ich blicke in die schlammigen Fluten, ein braunes Meer erstreckt sich in alle Richtungen, auf dem entwurzelte Bäume und verzweifelt planschende Schafe schwimmen. Aus den Löchern im Boden des Bauwagens tritt Wasser und aus den Seiten. Langsam hebt die Flut den Bauwagen vom festen Untergrund und bewegt ihn mit sich fort. Die Lampen gehen aus, die Bestecke und Gläser fallen aus dem Regal, zerbersten am Boden. Ich stehe am Eingang und versuche, soviel Vieh wie nur möglich in den Bauwagen zu retten. Fünf nasse Schafe und eine kleine Ziege stehen bereits neben mir und gucken dumm aus der Wäsche…

Ich bin nach draußen gegangen und habe mich informiert. Noch sind keine braunen Fluten zu sehen und ich leide an den Übertreibungen einer mitteilungsbedürftigen Phantasie. Nichts desto trotz habe ich nach diesen Sätzen auf Holz geklopft…

Mir sind wieder ein paar interessante Abfolgen auf der Gitarre in den Sinn gekommen. Ich habe dazu ein wenig (bis lautstark) gesungen (und auch gegrölt). Es hat mich aus der Die- Welt- versinkt- in- den- Fluten- Stimmung herausgeholt. Singen ist ja bekanntlich gesund und gut für die gute Laune. Also habe ich geträllert und bin dann wieder mal raus gegangen, denn der Regen hatte sich gemäßigt und ich wollte doch einen kurzen Blick auf die Ziege werfen, die heute früh so gar nicht gut aussah. Sie vervollständigte meinen mitleidigen Blick mit ihrem leidenden. Anne kam dann mit Kamillentee, Rotlichtlampe und Fieberthermometer und dem Vorschlag, wir können der Ziege – ich glaube man nennt sie Marie – eine etwas gemütlichere Unterkunft bauen, in der kleinen Scheune, wo das Holz gestapelt war. Also bauten wir den Holzschuppen um, brachten die Rotlichtlampe an, verteilten Heu auf dem Boden. Wir holten die Ziege Marie. Ich trug sie über die Koppel, doch am Überstieg des elektrischen Zauns scheiterte ich. Ich verhedderte mich und staunte zu lang über den Verlust meines Gleichgewichts. Wir stürzten. Im Fallen drehte ich mich so, dass ich auf dem Arsch und Marie auf mich fiel. Dann lag ich auf dem pissnassen Untergrund wie ein zu groß geratener Käfer mit einer Ziege auf der Brust. Slapstick vom feinsten. Schließlich war Marie die Ziege dann doch in ihrer neuen Behausung, wurde gefüttert und gemolken und machte zudem den Eindruck, dass ich sie heute Abend nicht mehr mit der Axt erschlagen muss. Das ist dann wohl Glück für uns beide…

Das letzte Abendmahl in Kunitz. Es gibt ungetoasteten Toast (der Toaster ist der übermäßigen Mäusebescheißung zum Opfer gefallen) mit Schinken und Käse und Suppe, wie immer. Mmmmm Tütensuppe, wie wär man ohne sie aufgeschmissen. Na ja, mal ehrlich, das ist alles weder besonders gesund noch besonders lecker, aber es stopft und lässt an andere Dinge denken. Zum Beispiel an mein drittes schweres Wort in diesem Kunitztext: Selbstverständnis. Ja, es ist mir alles selbstverständlicher geworden hier in Kunitz. Das ist durchaus etwas Gutes. Der Anblick des Horizonts hat dadurch keineswegs an Schönheit eingebüßt. Ich kann sagen, dass meine mich ablenkende Irritation heute einer gewissen Entspanntheit gewichen ist. Das ist noch klobig ausgedrückt. Ich beginne mich wohl zu fühlen mit meiner Situation, da zu sitzen in einem Bauwagen mitten auf einem Feld und zu schreiben und Gitarre zu spielen, die Tiere zu versorgen, in alle Richtungen zu gucken und nichts anderes zu hören als das Kreischen der Gänse. Die Idee, die mich in Berlin überkam, ist nun wirklich geworden. So empfinde ich das momentan. Morgen breche ich die Zelte wieder ab. Vielleicht hat auch der Gedanke eines baldigen Abschlusses meines doch kurzen Aufenthaltes dazu beigetragen, mich inständig mit diesem Hier und Jetzt zu arrangieren und zu identifizieren. Darauf ein Glas Wein.

Ich suche ein benutztes Glas – ich bin ein bekennender Abwaschvermeider! Einen Korkenzieher habe ich in der Großküche in der Scheune gefunden. Das war mal die Küche. Jetzt steht da „BAR“ protzig oben drüber. Früher gab es auch nur diesen Donnerbalken hinter dem Haus zum kacken und wir haben uns den Dreck im Bewässerungsgraben abgeschrubbt. Früher gab es hier kaum Werkzeug, keinen Strom und kein fließend Wasser. Aber früher hatten wir ja auch noch einen Kaiser ….

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